Schwäbische Auswanderer: evangelische Flüchtlinge als Siedler in Georgien

Nicht nur im 21. Jahrhundert, auch in früheren Zeiten sind Menschen wegen eines Krieges, wegen mangelnder Versorgung mit Nahrung und Arbeit oder wegen religiöser Konflikte als Flüchtlinge aus ihrer Heimat geflohen. Während wir heute eine Fluchtbewegung nach Europa erleben, sind in früheren Jahrhunderten Menschen aus Deutschland in andere Staaten geflohen. Viele in die USA, aber einige auch nach Georgien. Dies ist die Geschichte der Schwäbischen Auswanderer in Georgien. 

Manifest von Katharina der Großen

Diese Geschichte beginnt in Russland und geht auf das Jahr 1773 zurück. Die Zarin Katharina die Große erließ in diesem Jahr ein Manifest, mit dem sie alle christlichen Völker dazu einlud, Russland zu besiedeln. Dabei war nicht nur der Raum des heutigen Russlands gemeint, sondern neben den Gebieten an der Wolga auch Bereiche des Schwarzen Meeres. Damit war die Grundlage für eine Einwanderungsbewegung geschaffen. 

Lage Anfang des 19. Jahrhunderts

Die Zeit der Wanderungsbewegung nach Georgien datiert auf das frühe 19. Jahrhundert. Seinerzeit hatten die Kriege der Europäischen Staaten mit Napoleon die wirtschaftliche Grundlage vieler Familien in Mitleidenschaft gezogen. Die politischen Unruhen dieser Zeit sorgten für weiteren Druck, Deutschland verlassen zu wollen. Ein weiteres Problem in dieser vorindustriell geprägten Zeit war Landmangel. In Schwaben wuchs die Bevölkerung, die zur Verfügung stehende Ackerfläche war begrenzt. So wuchs auch von dieser Seite aus der Druck, nach einer Lösung zu suchen. 

Juliane von Krüdener

Hier kommt eine Person ins Spiel, die mit ihrem persönlichen Einsatz wichtige Voraussetzungen für die weiteren Geschehnisse bereitet hat: Juliane von Krüdener. Die aus dem Baltikum stammende Adlige hatte 1804 auf ihrem Gut eine religiöse Erscheinung durch den Tod eines Bekannten. Der Zweifel an den bisherigen Werten des Lebens brachte sie in eine pietistische Gemeinde in Riga. Ihre weiteren Kontakte in diesem religiösen Umfeld führte sie u. a. nach Karlsruhe. In Schluchtern bei Heilbronn traf sie schließlich Anfang 1815 auf eine Enklave pietistisch gesinnter Menschen, die sich bereits auf einen Aufbruch in Richtung Osten vorbereiteten. 

Juliane von Krüdener errechnete dann den Zeitpunkt der Rückkehr von Jesus. Dieser sollte im Jahr 1836 am Ararat wieder auf die Erde kommen. Damit war das Ziel der Reise vorherbestimmt. 

Um diese Zeit kommt Napoleon wieder ins Spiel. War er 1814 schon einmal aus Kontinentaleuropa vertrieben worden, so kam er jetzt aus Elba zurück nach Frankreich. Um das Vorgehen der anderen Staaten gegen Napoleon abzustimmen, reiste der russische Zar Alexander nach Deutschland. Im Juni 1815 kam es auf dem Weg dahin in Heilbronn zu einem Treffen mit Juliane von Krüdener. Dieses bereite die Grundlage für die Auswanderung in Richtung Georgien. 

Aufbruch 1817 in Ulmer Schachteln

Im Frühjahr 1817 brach die Gemeinde dann zu ihrer Reise in Richtung Georgien auf. Von Ulm aus ging es in einfachen Holzbooten, so genannten „Ulmer Schachteln“ über die Donau in Richtung Schwarzes Meer. Dabei handelte es sich um Boote von 20 – 30 Metern Länge, die in einer ca. 7 Meter langen Hütten auf Deck Schutz vor dem Wetter boten. Die Boote hatten keinen eigenen Antrieb, sondern nur Steuermöglichkeiten per Ruder. Entsprechend langsam ging seinerzeit die Reise voran. Die Boote selber wurden am Zielort auseinander genommen und das Holz verkauft. 

Die Bedingungen an Bord müssen alles andere als angenehm gewesen sein. Quellen berichten, dass der Preis der Überfahrt mit den Schiffern per Boot und nicht per Person berechnet worden sei. Also wurde die maximale Kapazität der Boote ausgeschöpft. Die Folge waren katastrophale hygienische Verhältnisse. Es wird berichtet, dass die Auswanderer vor Odessa für 42 Tage in Quarantäne gehen mussten und allein in dieser Zeit mehr als 1.000 Menschen starben. So seien von ursprünglich 1.400 Familien nur noch 300 am Ziel angekommen. Viele davon siedelten sich aber auch in der Ukraine an. 

Ankunft in Georgien

Im Herbst 1817 erreichten die Auswanderer dann Georgien. Ein blühendes Land fanden sie seinerzeit nicht vor. Chronisten berichten von ärmlichen Wohnverhältnissen der Landbevölkerung und einer starken Konkurrenz zu den georgischen Handwerkern. Keine guten Startbedingungen im neuen Land also. 

Hinzu kam, dass der Aufenthalt in Georgien ja eigentlich auch nur eine Zwischenstation sein sollte, bis Jesus wieder auf die Erde kommen würde. Zudem gab es eine religiöse Diskrepanz zu den mehrheitlich orthodox geprägten Georgiern. All dies führte dazu, dass sich eine Parallelgesellschaft von Migranten mit deutschem Migrationshintergrund in Georgien bildete. 

Ansiedlungen

Elisabethtal

Die erste Gruppe 65 von Familien siedelte sich ca. 25 km südwestlich von Tbilissi in Elisabethtal an. Den ersten Winter verbrachte man in Notunterkünften, ab dem Frühjahr 1818 begann dann der Bau von Steinhäusern. Man lebte von öffentlichen Geldern und auch vom Betteln. Die Siedler begannen mit dem Aufbau einer eigenen Landwirtschaft. Damit begann das wirtschaftliche Wachstum von Elisabethtal. Heute heißt der Ort Assureti. 

Katharinenfeld

Zwei weitere Gruppen deutscher Migranten ließen sich im Ort Schamkor ca. 180 km südöstlich von Tbilissi nieder und gründeten das Dorf Katharinenfeld. Die einheimischen Georgier warnten die Siedler vor den Folgen des dortigen Klimas. Es sei dort feucht und das Leben ungesund. Sie sollten auf grausame Art Recht behalten. 

Den Winter verbrachten rund 135 Familie in Erdhäuser, Wagen und Zelten, die Tartaren bereitgestellt hatten. Im Sommer schlug dann die Natur zu. Chronisten berichten von 256 Todesopfern durch Krankheiten und Epidemien. 

Die Kolonialverwaltung gab einem Ersuchen nach einer Umsiedlung statt. Alt-Katharinenfeld wurde aufgegeben. Neu-Katharinenfeld entstand ca. 60 km südwestlich von Tbilissi. Auch hier gab es wirtschaftliche Startschwierigkeiten. In den Folgejahren entwickelte sich Neu-Katharinenfeld dann zu einer wirtschaftlich prosperierenden Gemeinde. 

Die Sowjets benannten den Ort nach ihrem Einfall in Georgien 1921 in Luxemburg um. Heute heißt der Ort Bolnissi. 

Neu-Tiflis und Didube

Neben den landwirtschaftlich arbeitenden Siedlern waren auch Handwerker unter den deutschen Migranten. Sie wurden in den Nähe von Tbilissi angesiedelt. 

Zwei Kilometer nördlich von Tbilissi entstand am Ufer des Mtkwari die Siedlung Neu-Tiflis. Dort wurden 60 Familien von Handwerkern angesiedelt. Diese Familien hatten wegen der großen Konkurrenz durch einheimische Handwerker erhebliche wirtschaftliche Probleme. Für die deutschen Schmiede, Weber und Tuchmacher gab es keine Arbeit. Die Gemeinde wurde 1861 mit der übrigen Stadt verbunden. 

Weitere 26 Familien wurden 5 Kilometer weiter nördlich in Didube angesiedelt. Diese Siedlung bekam den Namen Alexanderdorf. Die Siedler waren nach der Reise völlig verarmt und mussten sich auf die Gegenstände stützen, die sie in der Nähe ihrer Siedlung fanden. Aus der Not heraus entstand dort ein Logistikgewerbe mit Fuhrunternehmen und Transportunternehmen. Heute ist dies der Stadtteil Didube in Tbilissi. 

Jesus kam nicht

Nach Angaben von Chronisten machte sich bereits vor 1836 bei den Migranten Ernüchterung über das neue Leben in Georgien breit. Nach 1836 begann man dann komplett in der Realität anzukommen. Die Siedler bauten ihren landwirtschaftliche Ambitionen aus, betrieben Weinbau und belieferten die Märkte in Tbilissi mit Kartoffeln, Milch, Butter und Fleisch. 

Die wirtschaftliche Gesundung zeigte sich auch in der Bevölkerungszahl. Wurden 1818 2.000 Einwanderer aus Deutschland in Georgien gezählt, so war ihre Zahl bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bis auf rund 40.000 gestiegen. 

Abbau von Vergünstigungen

Zarin Katharina hatte den deutschen Siedlern weitgehende Freiheiten zugesichert. Diese wurden ab etwa 1870 von den russischen Behörden nach und nach abgebaut. Die Selbstverwaltung der deutschen Kolonien wurde aufgehoben. Russische wurde Amtssprache und auch in den Schule als Unterrichtssprache eingeführt. Ab 1874 unterlagen die Familien der deutschen Siedler der allgemeinen Wehrpflicht für die Deutschen eingeführt. Zudem wurde das Recht der nicht-russischen Bevölkerung auf den Erwerb und Besitz von Land und Immobilien stark eingeschränkt. Die einzige verbliebene Freiheit aus Katharinas Manifest blieb das Glaubensbekenntnis. 

Sowjets schließen Kirchen

Die Geschichte der deutschen Einwanderer in Georgien hatte weitere bedeutende Wendungen im 20. Jahrhundert. Mit dem Einfall der Sowjets 1921 endete die drei Jahre währende Zeit der ersten Demokratie in Georgien. Die Sowjets bauten in den Folgejahren ihre Macht aus und beschnitten insbesondere die Rechte der Kirchen. Nicht nur die orthodoxe Kirche, auch die deutschen evangelischen Gemeinden hatten darunter zu leiden. 

Die Verstaatlichung kirchlicher Eigentümer im April 1929 nahm den Siedlern ihre Gebäude und ihre Versammlungsorte. Religionsunterricht wurde verboten, die kirchlichen Feiertage wurden abgeschafft und das religiöse Leben verlagerte sich ins private Umfeld. Ab Anfang der 1930er Jahren wurden die Kirchen geschlossen. Der evangelische Pfarrer Richard Mayer wurde nach Sibirien deportiert und 1933 in Moskau hingerichtet. Kirchen wurden nun umgewidmet, zweckentfremdet oder gleich ganz abgerissen. 

Der planmäßige Aufbau des Sozialismus hatte für die deutschen Siedler 1932 / 33 eine Hungersnot zur Folge. Chronisten berichten davon, dass sich viele der Siedler mit dem Gedanken trugen, wieder zurück nach Deutschland zu gehen. 1934 kam es zu ersten Verhaftungen. Ab 1935 begannen die Sowjets dann mit den Zwangsumsiedlungen. 

Deportationen

Nach dem Beginn des Krieges des Deutschen Reichs gegen die Sowjetunion begann ein weiterer Leidensweg der Siedler. 1944 wurden rund 7.500 Deutschstämmige von Stalin nach Mittelasien deportiert. Ihnen wurde die Rückkehr in ihre georgische Heimat bis 1955 untersagt.

Mit der Unabhängigkeit 1991 kehrten rund 3.000 Deutschstämmige zurück nach Georgien. Viele von ihnen nutzten die Gelegenheit zur Rückreise nach Deutschland.