Auf der Suche nach den Wurzeln

Diese zwei Wochen in Georgien standen nicht nur im Zeichen eines Urlaubs. Sie hatten auch den vorrangigen Zweck der Recherche für einen Roman, der in Deutschland in Georgien zu unserer heutigen Zeit spielt. Die Geschichte greift allerdings ein halbes Jahrhundert zurück, in die Zeit des II. Weltkrieges und in das Schicksal zweier Georgier, die nach Deutschland gerieten - der eine als Kriegsgefangener, der andere als Besatzer.

Was Sie also hier lesen, ist weniger Reisebericht als mehr das Protokoll des Findens einer Handlung, der Entstehung einer Geschichte, die Suche nach den Personen, mit deren Leben ich spiele.

Entwicklung einer Idee

Als wir im Flieger saßen, hatten wir gerade das Grundgerüst für den Roman fertig strukturiert. In Georgien wollten wir nun die Orte recherchieren, an denen die Handlung spielt, wenn eine der Hauptfiguren den Menschen wieder trifft, den er seit Jahrzehnten sucht. Diese Szene sollte nicht in Tbilisi spielen, sondern irgendwo im ländlichen Teil Georgiens.

Damit fangen die Probleme schon an. Wo um alles in der Welt setzen wir den typischen ländlichen Georgier an? In Kacheti, in der klassischen Weinregion? Am Rande des Kaukasus? Guria war in der Planung, und den Trip dorthin zu Verwandten hatten wir auch schon eingeplant.

Doch der einfache Weg?

Dann, in einer dieser Nächte, als ich in Tbilisi vor dem Fernseher sitze, eine Doku vom National Geographic über schweres Wasser aus Norwegen und die Nazis vor der Nase, die einen Monat zuvor auf ARTE lief, nach einigen Glas Wein aus Kacheti, kommt mir die Erkenntnis: Warum lassen wir diese Szene nicht dort spielen, wo wir uns auskennen? Wo wir Verwandte haben, wo uns tagsüber die Mücken stechen, wo wir die Geschichte der Familie und Georgiens über die letzten 70 bis 300 Jahre zurückverfolgen können? Warum nicht in Persati?

Das ist zu einfach, denke ich mir, als ich ins Bett gehe. Journalisten sind faule Leute, das weiß ich aus meiner schreiberischen Lehrzeit in Köln. Wenn RTL über Telefongesellschaften berichtete, hatten sie immer den Geschäftsführer von NetCologne im Interview. Sind ja nur 3 km Luftlinie von der Aachener Straße in den Maarweg. Und als die Deutsche Welle noch im Asbestbunker saß, war Köln der Nabel der Welt. Aber der Gedanke begann mich zu faszinieren. Nur hier habe ich die Möglichkeit, tiefer in die Geschichte der Menschen einzudringen.

Ideen und die Wirklichkeit

Bevor es also nach Batumi geht, machen wir einen Zwischenstop in Persati. Die Mücken sind begeistert. Nur in Norwegen war ich schon mal zerstochener als hier, am Rande der kolchischen Niederung. Gleich am ersten Abend gibt es eine Tafel in kleiner Besetzung, wir reden mit Bekannten meines Schwagers über das Projekt.

Am nächsten Tag dann eine Stunde in Ortsgeschichte. Ich erfahre die Geschichte, die sich hinter dem Namen des Ortes verbirgt. Erfahre, daß die Bauern hier nie in eine Kolchose gedrängt wurden, daß die Familie diesen Hof seit 1941 bewirtschaftet. Ich stelle mich vor das Haus, gehe auf die Straße, stelle mir eine der Schlüsselszenen des Romans vor, das Zusammentreffen der beiden Personen.

Wir ziehen durch den Ort. Das Auge meiner Kamera findet die offensichtlichen Spuren des Verfalls. Der Laden für Lebensmittel, verfallen, seit Jahren nicht mehr genutzt außer als Abstellraum. Eine frühere Schule. Ein Verwaltungsgebäude. Mehrere Männer sitzen vor dem alten Backhaus und lassen den Abend ausklingen. Ich lasse mein Paar hier nach dem Weg fragen. Tatsächlich fragen sie uns, wo wir lang wollen.

Ein Gelage zum Abschied

Wir steigen den Berg hoch. Es braucht einige Fragen, bis wir nach oben in den Wald kommen. Dann eröffnet sich der Blick über Persati, über die Weinfelder, bis hinab nach Kutaissi, das gerade einmal 25 km entfernt liegt. Etwas weiter dahinter grüßen die Ausläufer des Großen Kaukasus.

Jetzt schwinden die Selbstzweifel. Was wichtig ist an Georgien, finden wir hier. Wir lassen es hier spielen.

Am Abend, als ich weitere Details über die Geschichte dieser Orte, über die Zeit, als Bagdati noch Majakowski hieß, erfahren habe, setze ich mich an den Tisch und schreibe diese eine Schlüsselszene auf. Ungewohnt, eine Handlung auf Papier zu schreiben und nicht gleich in den Rechner. Ich setze ein Klavier in dieses Zimmer, daß es hier nicht gibt. Es ist stimmig. Und es gibt einige Handlungsorte, die hier in der Nähe sind, und die ich für das Werk brauche.

Zwei Tage bevor mein Flieger nach Deutschland zurück geht, treffen wir abends eine spontane Verabredung. Nun gut, wir wollten uns schon länger sehen, aber dann war es doch eine spontane Terminsache. Die Jungs von Georgika wollten uns wiedersehen. Vor vier Jahren haben sie bei mir in der Küche Tsintskaro gesungen, jetzt gibt es eine Überraschung. Mehr ins Detail geht es nicht.

Wir treffen uns in der Innenstadt. Den einen kenne ich als Gast und Gastgeber, den anderen nur übers Internet - Sasa von The Shin. Heute Abend sind es also mehr als zwei Menschen um mich herum, die deutsch sprechen. Wir fahren durch die sommerlich warme Stadt zu dem Haus, daß sein Schwiegervater für die Familie gebaut hat. Der Weg führt vorbei am Anwesen Wachtang Rtscheuwischwilis, nach deutschem Wert stecken da mindestens 10 Millionen Euro drin. Schon letztes Jahr durften wir seine bescheidenen Häuser in Bakuriani bewundern.

Wir kommen am Haus an, gebaut auf einer Ebene über dem Mtkwari. Ich erfahre, was hier zu Beginn der 90er Jahre im Bürgerkrieg los war. Der Beauftragte für Feuer von Georgika heizt den Grill an, es gibt die Urform des Schaschlik, Mdshadi. Unmengen von totem Schwein landen auf den Spießen. Auf meinen Wunsch hin essen wir nicht im Haus, es ist warm, sondern setzen uns unter einer Pergola mit Weinreben neben das Haus. Über uns der Sternenhimmel. In den Ohren auch dieses Mal Tsintskaro, ich schließe die Augen und lasse die Gänsehaut den Rücken herunter laufen. Mamukas Stimme habe ich in Köln am Rechner Hunderte Male im Ohr gehabt, ebenso im Auto. Aber hier, unter freiem Himmel, bei traditionellem georgischen Essen, mit Wein im Glas und im Kopf, da schwinden die Sinne. Kein Joint kann das liefern. Ich habe eine Gänsehaut auf den Armen.

Aber nicht wegen der Temperaturen. Als die Sonne untergeht, wird es kälter, ich als Nordeuropäer bin der einzige, der nach Mitternacht noch im T-Shirt draußen sitzt und sich nicht erkältet. Ein unvergeßlicher Abend. Und ich beiße mir zum wiederholten Male ins Gesäß, daß ich den Fotoapparat nicht mitgenommen habe. Dieser Abend kann wird uns nur im Gedächtnis haften bleiben. Das dafür dauerhaft.

Unvergeßlich auch deshalb, weil dieser Abend im Roman landen wird. Die Geschichte dieses Hauses, die Geschichten einiger dieser Menschen, die an diesem Abend hier waren, spiegeln georgische Geschichte wieder. Dazu noch die Auseinandersetzungen zwischen Musikern, authentische Geschichten, die ich besser nicht hätte erfinden können.

Bevor die Sonne aufgeht, sind wir wieder zu Hause. Und ich habe am nächsten Morgen einen Kater, nicht wegen des Weines, sondern wegen der Unmengen von Fleisch, die mein Magen nicht verarbeiten will. Aber ich weiß, daß ich auf der Suche nach der Geschichte ein gutes Stück weiter voran gekommen bin.

Übersicht aller Reiseberichte 2005

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