Der Rustaweli-Prospekt geht online

Mit der Rolltreppe auf den Rustaweli-Prospekt

Der Mai geht dem Ende entgegen, und schon im Tifliser Vorort Gldani künden die Sonnenstrahlen den Sommer an. Wir fahren mit der Bahn in die Stadt, der Automat an der Treppe verschluckt sich an meiner Münze, man braucht immer erst einige Versuche, um sich an die Feinmotorik zu gewöhnen. Auch die Rolltreppe ist bei den ersten Schritten ungewohnt, dreimal so schnell wie in Deutschland und erheblich länger, bis man erst einmal unter der Stadt ist. Nach einer Wartezeit, die ich bei den Kölner Verkehrsbetrieben für unerreichbar halten würde, poltert die Bahn ein. Im Unterschied zum vergangen Jahr fällt mir auf, daß mehr Kinder versuchen, mit dem Kauf von Kleinwaren Geld zu verdienen.

Am Rustaweli-Prospekt steigen wir aus, hier knallt die Sonne mächtig rein. Auf der Straße der übliche Verkehr, die Leute scheinen mehr zu hupen als im vergangenen Jahr, wenn man jedenfalls die Hochzeiten außer Acht läßt. Wir sehen kurz im Institut der Filmunion herein, das Filmfestival scheint schon am ersten Tag seht gut angenommen zu werden. Vor allem Germanistinnen nutzen die Möglichkeit, hier ihre Sprachkenntnisse zu testen. Das Problem stellt sich, dass in den Kinos nur Hollywood-Produktionen gezeigt werden. Europäische Filme haben hier kaum eine Chance. Der Blick zurück zu McDonalds unterstreicht dies.

Online im Café

Auf dem Bürgersteig betteln uns Kinder an, auch eine neue Erscheinung dieses Jahres. Von der Physiognomie entsprechen sie den Kindern, die ich auch vor dem Kölner Dom kennengelernt habe, es scheinen Sinti und Roma zu sein. Die Behinderten und Kriegsopfer stehen am Rang und machen sich nicht an die Passanten heran. Gleich auf den ersten Metern fällt mir das erste Internetcafé ins Auge. Bis zum Platz der Freiheit zähle ich sechs Cafés, wo es im vergangenen Jahr nur ein einziges gab. Die Nutzung des Internets ist auch in Georgien auf dem Vormarsch, die Preise für eine Stunde variieren zwischen 1,50 und 3 Lari. Wie ich aus den Erzählungen anderer Leute erfahre, gibt es allerdings eine recht hohe Fluktuation bei den Cafés, viele machen ebenso schnell wieder dicht, wie sie aufgemacht haben. Wir werfen einen Blick in das Forum der Georgienseite, uns begleiten die neidischen Kommentare derjenigen, die in Deutschland bleiben mussten. Und ich kämpfe damit, auf einer US-amerikanisch eingestellten Tastatur die richtigen Buchstaben zu finden. Gar nicht so einfach zu schreiben, wenn man nicht weiß, wo das Komma ist.

Wahlkampf mit falschen Bärten

Über die Stadt weht in diesen Tagen ein heftiger Wind. Der Staub weht uns in die Augen, was das Spazierengehen nicht gerade angenehmer macht. Es ist die Zeit des Wahlkampfes vor den Kommunalwahlen am 2. Juni 2002, an den Hauswänden am Rustaweli-Prospekt hängen Tausende von Plakaten. Die Sozialisten versprechen: Tiflis wird wieder aufgebaut. Das drei Wochen nach dem Erdbeben, aber woher sie das Geld dafür nehmen wollen, schreiben sie nicht auf die Plakate. Vielleicht vom großen Bruder im Norden? Die Plakatierer von Micheil Saakaschwili sind sehr fleißig, aber auch diejenigen, die ihm Hitlerbärte aufmalen. Am Platz der Republik biegen wir ab, ich besorge mir einen Haarschnitt zu einem Preis, wie ich ihn in Deutschland das letzte Mal in der Regierungszeit Konrad Adenauers gezahlt hätte. Hinter mir strahlen mich die Spice Girls an, die No Angels haben sich hier nicht wirklich durchgesetzt. Auf den zweiten Blick erkennt man dann doch das mangelnde Geld für Investitionen. Der Schrank vor mir könnte eine neue Tür gebrauchen, Scheren stecken in einer abgeschnittenen "Pringels"-Dose. Die elektrische Haarschneidemaschine hat noch keinen Akku. Zu dem Zeitpunkt dieser Reise läuft gerade auf 3SAT die Reise von Fritz Pleitgen durch den Kaukasus, er hatte sich im Sommer 2000 in Aserbaidschan die Haare schneiden lassen. Mein Haarschnitt hat ein ähnlich perfektes Handwerk. Ob der blondierte Friseur dem kölschen Schema entspricht und schwul ist, haben wir allerdings nicht gefragt.

Die Folgen des Erdbebens

Auf dem Rückweg entdecken wir in einer Seitenstraße Bauarbeiten. Wir fragen einen Arbeiter, hier wird tatsächlich ein kompletter Straßenzug nach dem Beben instand gesetzt. In der Nähe der Banken scheinen die Schäden schnell beseitigt zu sein. An einem späteren Tag, weiter in der Altstadt, sehen wir allerdings andere Bilder.

Bevor wir in die Bahn steigen, knurrt der Magen und verlangt ein Chatschapuri. Wir müssen Geld wechseln und gehen an den Schalter der National Bank of Georgia, sehen dort einen Geldautomaten. Nach kurzer Nachfrage erklärt uns eine Angestellte der Bank, daß man dort problemlos Lari mit der EC-Karte abheben kann. Der Tarif der georgischen Bank ist dazu noch recht günstig: Sie verlangen nur 2% der Gesamtsumme! Da ist der Gang zur Dresdner Bank auf der anderen Straßenseite in Köln-Nippes teurer, wenn der Automat der Stadtsparkasse streikt! Was die deutschen Geldinstitute allerdings dazu noch an Gebühren verlangen, wird man erst nach dem Urlaub sehen.

Mit Genuß und dem Gefühl, einmal wieder bahnbrechende Recherchen für die Georgienseite getätigt zu haben, setzen wir uns zu einem Chatschapuri und Wasser mit Schokoaroma. In den drei Wochen unseres Aufenthaltes in Georgien waren wir rund ein halbes Dutzend Mal auswärts das georgische Standardgericht essen. Und nicht nur die Preise waren für Westeuropäer günstig, es war auch jedesmal eine gute Qualität. Dass ein Chatschapuri nicht zum leichtesten Essen gehört, sollte man allerdings bei einem Urlaub in Georgien außer Acht lassen. Immerhin bietet eine Body-Shaping-Center in der Nähe eine Stunden auf der Spinning-Maschine incl. Dusche für einen Lari an. Aber im Urlaub?

Weiter: Persati - Lichter in der Dunkelheit