Tour de France: Grand Départ in Georgien

Die Tour de France ist ein Ereignis, auf das ich seit Jahren hinfiebere. Verstehen kann das nur jemand, der selbst auf dem Rad stundenlang geschwitzt hat. So habe ich mir mal überlegt, wie es aussehen würde, wenn man den Grand Depart, also die erste Etappe der großen Schleife, nicht im Westen Europas austragen würde, sondern in Georgien. 

Kaukasus statt Alpen: Radrennen beginnt in Tbilissi

Im Jahr 2024 haben wir ein Novum: nach mehr als 100 Instanzen der Tour de France endet die Tour dieses Jahr in Nizza, Grund dafür sind die Olympischen Spiele in Paris. Der Beginn der Tour fand schon einige Male in anderen Ländern statt, in Spanien, in Italien, in Dänemark und auch in Deutschland, so vor ein paar Jahren in Köln und später in einer anderen Stadt nördlich davon. Was aber, wenn wir ein wenig weiter nach Osten reisen und Georgien als Startland nehmen würden? Das ist die Grundlage für das unten folgende Gedankenspiel.

Wir nehmen mal an, dass wir die Tour der Leiden bergauf fahren und die Fahrer gleich am ersten Tag ordentlich schinden möchten. Zudem sind natürlich alle am ersten Tag nervös, in der ersten Woche gibt es die meisten Stürze. Also keine engen Durchfahrten. Wir nehmen also in die Planung der Route keine engen Ortsdurchfahren auf. Womit können wir starten? Mit der Georgischen Heerstraße. Mindestens drei Postkartenmotive hängen daran, also ab in den Sattel. 

Grand Départ in Tbilissi

Irgendwann in naher oder ferner Zukunft steht vor dem Rathaus in Tbilissi am Platz der Freiheit eine Bühne. Der Bürgermeister, vielleicht auch später noch ehemaliger Profi Fußballer, wird ein paar Worte sagen, andere Prominente ebenso, dann rollt das Peloton an. Langsam Fahrt aufnehmend geht es auf den Rustaweli Prospekt. Man stelle sich jetzt schon mal vor: Ein Blick auf die Narikala-Festung, die Sioni Kirche, David der Erbauer grüßt vom Pferd herunter. Vorbei an der alten und der neuen Oper. Vom Mtkwari hinauf grüßen niederländische Touristen, die mit den Booten vertraut sind wie auf einer Gracht in Amsterdam oder Utrecht.

Danach geht es auf breiten Straßen nach Norden aus der Stadt hinaus. Als die Tour den Mtkwari verlässt, erfolgt der neutralisierte Start. Vorbei an Dighomi und den französischen Supermärkten geht es Richtung Georgische Heerstraße. Denn das ist heute das Ziel: Rund 2.000 Höhenmeter, in den Kaukasus, fast bis nach Gergeti.

Doch zuerst einmal macht man sich so seine Gedanken. Wie ist nun die beste Führung der Route, um Georgien und Tbilissi so gut wie möglich in Szene zu setzen? Nun, eine Möglichkeit wäre natürlich, nun auf die Schäl Sick von Tbilissi zu wechseln, an Gldani vorbei und dann vielleicht zum Dshwari-Kloster hinauf. Von den Bildern her nicht so schön, auch wenn man die Bergstrecke mitnehmen könnte. Also besser am Wasserkraftwerk vorbei und dann Richtung Natachtari. Damit folgen wir natürlich der Autobahn S-1 und die Fahrer können nun richtig Tempo bolzen. Aber das währt nicht lange.

Etappe der Tour de France führt über Mzcheta

Mzcheta bietet eine wundervolle Gelegenheit, die Fahrer von der S-1 herunterzuleiten. Wir bleiben auf der richtigen Seite des Mtkwari, passieren die Amazi Festung und queren den Fluss dort, wo er aus Westen kommt, in Richtung der früheren georgischen Hauptstadt. Der erste richtige Höhepunkt: Das Peloton umfährt auf zwei Autospuren die Altstadt von Mzcheta. Der Hubschrauber bietet einen wundervollen Ausblick auf die Swetizchoweli-Kathedrale und das Samtawro-Kloster. Von der Weinkammer grüßt eine meterhohe Flasche mit georgischem Wein, die man extra für den Grand Départ aufgestellt hat. Weiter geht die rasante Fahrt Richtung Kaukasus. Von der Bebris Ziche grüßen eine georgische und eine europäische Fahne. Auf dem Bergrücken ein meterhohes Rennrad. Selbst die Querrillen auf der Straße sind geflickt, so dass die Fahrer kein Gefühl wie bei Paris-Roubaix bekommen. Nun geht es kurz auf die Autobahn, und dann ist das Ziel erreicht: Die Georgische Heerstraße. Diese wird das berühmte Radrennen nun mehr als 100 km begleiten.

Tour de France über die Georgische Heerstraße durch den Kaukasus

Auf gerader Strecke geht es nun das Tal des Aragwi entlang. In Bulatschauri weht den Fahrern der Duft von frisch gegrilltem Mzwadi um die Nase. In Aragwispiri schwenkt ein deutscher Enthusiast eine überdimensionale Flagge einer Kölschsorte in der Hand und feuert die Fahrer mit einem gebrüllten „Gaumardschos!“ an. Dann geht es in Richtung der Staumauer. Die ersten Höhenmeter, es geht über die Brücke, nun kommt die Festung Ananuri in Sicht. Eine Gruppe deutscher Touristen schwenkt ihre dreifarbigen Flaggen und grüßt die Fahrer mit einem Kazbegi in der Hand.

Auf den nächsten Kilometern geht es langsam aber stetig nach oben weiter in den nördlichen Kaukasus hinein. Nach rund 90 Kilometern ist Pasanauri erreicht. Am Ortseingang grüßt der Hirsch, dem ein Spaßvogel ein Mountain Bike auf das Geweih gesteckt hat. Die Fahrer riechen frisch gekochte Chinkali, einige Sportler grüßen mit einer georgischen Teigtasche in der einen und einem Glas Rkatsiteli in der anderen Hand. Ab jetzt geht die Tour in die Beine, rund 1.000 m Höhe haben die Fahrer erreicht. Zwei Stunden zum Einrollen, jetzt kommen die ersten größeren Anstiege.

Bis Lomisa steigt die Strecke allmählich auf 1.500 m an. Ein paar kleinere Anstiege, dann wieder ebene Teilstücke, das Fahrerfeld sortiert sich. Vielleicht gibt es hier schon die ersten Ausreißer, die strategisch planen und auf den Sieg bei der ersten Etappe der Tour de France in Georgien spekulieren. Alles möglich. Hier, unterhalb des Klosters, überquert die Strecke den Aragwi.

Bergwertung nach Serpentinen bei Gudauri

Es geht ein paar Meter den Fluss entlang, vor Gudauri dann rein in die Serpentinen. Gut, es sind nur 4 Kehren und damit bei weitem nicht so viele wie bei Alpe d’Huez, aber die Kandidaten für das rot-weiße Trikot machen sich auf den Weg. Mehrere Fahrer reißen aus. Wer es sein wird? Wir wissen es heute noch nicht. Ein neuer Marco Pantani? Ein neuer Jan Ullrich auf seinen Spuren? Wird in Gudauri ein neuer Stern am Himmel der Bergfahrer geboren? Vielleicht gar ein georgisches Talent, das auf seiner Heimatstrecke zeigt, was in ihm steckt? All dies ist Spekulation, aber vielleicht wird es der Traum, der hier wahr wird. Über die Kehren geht es nun nach oben, das Feld zieht sich die Länge. Über dem Aragwi steht ein Hubschrauber und produziert Livebilder, auf dem Berg gegenüber haben sich sich Fahrer mehrere Dutzend Mountain Bikes auf die Weide gesetzt und verfolgen gespannt das Geschehen auf der anderen Seite des Tales.

Hier auf dem Aufstieg darf natürlich Didi Senft nicht fehlen, der auf der Aussichtsplattform neben der Straße steht und perfekt von Hubschrauber unterhalb seines Dreizack in Szene gesetzt wird. Er springt wie gewohnt auf und ab, diesmal aber erstmal nicht zur Straße, sondern zum Tal hin, feuert die Fahrer von oben herab an. Nach rund 200 Höhenmetern sind die Kehren zu Ende, Senft läuft zur Straße und wird von einer Motorradkamera eingefangen.

Die Fahrer sortieren sich neu. Nun geht es durch Gudauri, ein beliebter Ort für den Wintersport, im Sommer eher ein trauriger Anblick, aber heute ein Fahnenmeer aller beteiligter Nationen, die Fahrer nach Georgien zum Grand Départ der Tour de France geschickt haben. Das Gebrüll der Radsportfans in Gudauri ist ohrenbetäubend. Sie laufen auf die Straße, feuern ihre Favoriten an, klatschen in die Hände, laufen ein paar Meter neben ihnen her, bis ihnen die Puste ausgeht. Die Fahrer verlassen nun das Zentrum des Wintersport, steigen die Straße weiter nach oben und passieren das Denkmal der Freundschaft mit den Russen, das an diesem Tag von Fahnen westeuropäischer Staaten und der EU verhüllt ist.

Bergwertung am Kreuzpass in Georgien

Die erste Bergwertung ruft. Auf dem Weg dem Hauptkamm des Großen Kaukasus entgegen steigt die Georgische Heerstraße stetig weiter an und schraubt sich durch Weiden und Felslandschaften nach oben. Über der Straße stehen an einigen Stellen die gewohnten roten Tore der Tour de France, 2 und 1 km vor der Bergwertung. Heute liegt sie auf dem Kreuzpass, fast 2.400 m hoch. Auch hier können wir erwarten, dass die Bergfahrer ihr bestes geben, sich in Szene setzen, austesten wollen, wo die Konkurrenten die nächsten drei Wochen stehen werden. Es wird mit Sicherheit einen harten Kampf um die Punktwertung geben, denn es ist ein Pass der zweithöchsten Kategorie. Wer hier oben den ersten Platz macht, hat fast eine Woche das rot-weiße Bergtrikot sicher.

Ab jetzt geht es bergab. Die Rundfahrer haben nun die Gelegenheit wieder aufzuholen, was sie bergauf verloren haben. Auf der Strecke, in den letzten Jahren ohnehin instand gesetzt, liegt neuer glatter Asphalt. Noch rund 20 km bis ins Ziel, die Endphase ist eingeläutet. In rasanter Abfahrt geht es nun nach Stepanzminda. Es wird eine Sprinterankunft geben. Welches Team bringt seine besten Sprinter nach vorne? Wer wird auf den letzten 3 km vor dem Ziel Anfahrer und Favoriten vorne haben? Wir wissen es nicht. Die Straße ist breit genug für alle, die Nervosität in Fahrerfeld wird wie immer beim Start der Tour de France hoch sein, hier aber sind keine scharfen Kurven und engen Ortsdurchfahrten, die zu einem Massensturz führen könnten.

Sprintankunft in Stepanzminda vor Kazbegi

Vor Stepanzminda hängt der Teufelslappen und signalisiert den Fahrern den letzten Kilometer. Hinter den Absperrungen haben sich Besucher aus Georgien und der ganzen restlichen Welt versammelt, um die Fahrer bei ihrer ersten Etappe anzufeuern. Vor der grandiosen Kulisse des Kazbegi und des Gergeti Kloster der Heiligen Dreifaltigkeit sprinten die Teams nun um den Tagessieg. Wer wird heute ins gelbe Trikot fahren? Wird es vielleicht zum ersten Mal ein Fahrer aus Georgien sein?

Tour de France in Georgien - Ein Gedankenspiel?

Dies ist ein Gedankenspiel. Befeuert aus den Erfahrungen, die ich in den letzten Jahren in Georgien auf dieser Strecke selber, leider (noch) nicht mit dem Rad, und vielen Stunden vor dem Fernseher mit der Tour de France verbracht habe, einige davon selbst schwitzend auf der Spinning Maschine. Genau so wurde diese Idee geboren. Und vielleicht wird sie doch Wirklichkeit, denn ich habe letztens wieder ein georgisches Team an der Strecke trainieren sehen. Dann kann ich endlich die große Fahne mit der Biersorte schwenken.