Georgien ist kein kriminelles Land!

Offener Brief georgischer Studierenden gegen die anti-georgische Kampagne über Visaliberalisierung.

Ist Georgien zu kriminell?

Wie ein Lauffeuer verbreiten sich seit einigen Tagen die Nachrichten über Georgien in der deutschen Presse, dass einzelne Fraktionsvertreter im Bundestag, sowie einige deutsche Innenpolitikexperten wie Armin Schuster vor der Visa-Freiheit für Georgien warnen. Der Grund sei die deutlich angestiegene Kriminalität seitens der georgischen Staatsbürger und Missbrauch des Asylrechts, dergestalt dass der Zeitraum für die Bearbeitung der Asylanträge häufig für organisierte Verbrechen genutzt wird. Überschriften wie „Visa-Freiheit: Regierung fürchtet georgische Diebesbanden“ (DIE WELT) oder „Zu kriminell | Union lehnt Visa-Freiheit für Georgier ab“ (BILD) werden in den sozialen Netzwerken im Sekundentakt geteilt.

Wir – junge Georgier/innen, die in Deutschland studieren und arbeiten, fühlen uns durch diese mediale Attacke zutiefst unrecht behandelt, als Menschen sowie als Vertreter/innen eines Landes, in welchem das Kriminalitätsniveau viel niedriger ist als in den meisten EU-Staaten. Durch die Medien wird auf diese Weise in der deutschen Gesellschaft die Vorstellung von Georgien als Hochburg der Kriminalität geschaffen. Ebenso das Gefühl, dass deshalb die Gefahr für einen weiteren Anstieg der organisierten Kriminalität aus Georgien in Deutschland extrem hoch sei.

Das entspricht schlicht nicht der Wahrheit, weil Georgien der organisierten Kriminalität seit 2003 den kompromisslosen Kampf angesagt hat, was mit großem Erfolg umgesetzt wurde. Ebenso erfolgreich wurde die Korruption, u.a. auch in den Polizeistrukturen bekämpft und Georgien schneidet diesbezüglich deutlich besser ab, als die östlichen Mitgliedstaaten der EU. Warum also ist dann Georgien „zu kriminell“ und warum wird davor gewarnt, Georgien die Visa-Freiheit zu gewähren? Welche Argumente haben die Gegner außer der Behauptung, dass Georgier die „treibende Kraft bei der Wohnungseinbruchskriminalität in Deutschland“ (Schuster) seien und deshalb die Kriminalitätslage durch die Visa-Freiheit weiter verschärft würde? Laut CSU-Außenexperte im Bundestag Hans-Peter Uhl würde die Visa-Freiheit zu mehr unkontrollierter Einreise und mehr Kriminalität führen.

Visaliberalisierung

Aus unserer Sicht ist es eine Instrumentalisierung des Problems, pauschal zu behaupten, Georgien sei zu kriminell und die Visa-Freiheit für Georgien würde automatisch zu einem Anstieg der Kriminalität in Deutschland führen. Dabei wird die Vorgeschichte, also die Geschichte bis zur Implementierung der Visaliberalisierung ausgeblendet. Deutschland ist die treibende Kraft der EU, die für die Schaffung der Voraussetzungen von Visa-Freiheit hohe Anforderungen an Georgien gestellt hat. Der Dialog über die Visafreiheit in Form von „Action plan on visa liberalisation (VLAP) wurde mit Georgien im Juni 2012 aufgenommen. Das wichtigste Instrument zur Visaliberalisierung – der Aktionsplan umfasst vier Themenblöcke: 1) Dokumentensicherheit einschließlich biometrischer Daten, 2) integriertes Grenzmanagement, Migrationsmanagement und Asyl, 3) öffentliche Ordnung und Sicherheit, 4) Außenbeziehungen und Grundrechte. Das Ziel bestand darin, dass die georgische Regierung die Verabschiedung eines rechtlichen, politischen und institutionellen Rahmens (Phase I), sowie dessen wirksame und nachhaltige Umsetzung (Phase II) im Rahmen des Aktionsplans gewährleisten sollte. Mitte Dezember 2015 hat die Europäische Kommission den vierten und letzten Fortschrittsbericht angenommen und somit bestätigt, dass Georgien alle Kriterien zur Visaliberalisierung erfolgreich erfüllt.

Mit diesem Brief streben wir eine objektive Darstellung der Tatsachen an, die von einigen Politikern mit oder ohne Absicht ausgeblendet und so dargestellt werden, als würde Georgien die Visaliberalisierung zum Geburtstag als Geschenk bekommen, auf das man auch verzichten könnte. „Die verstärkte Mobilität der Bürger unter sicheren und sorgfältig gestalteten Rahmenbedingungen“ bildet einen der Kernziele der Östlichen Partnerschaft der EU, weshalb die EU den Dialog in Form des Aktionsplans zur Visaliberalisierung mit den interessierten Ländern – wie Georgien führt. Dabei wurde die Östliche Partnerschaft von der EU ins Leben gerufen und ist daher nicht nur für die beteiligten Länder, sondern auch für die EU verpflichtend. Deutschland war also nicht nur über den erfolgreichen Verlauf des Aktionsplans mit Georgien bestens informiert, sondern selbst aktiv an dem Unterstützungsprozess beteiligt. Jetzt unmittelbar vor der Implementierung zu behaupten, Georgien sei für die Visaliberalisierung nicht bereit und dies mit der hohen Anzahl der georgischen Kriminellen in Deutschland zu begründen, ist ein gegen sich selbst gerichteter Schritt. Dafür kann es aus unserer Sicht nur zwei Erklärungen geben:

1) Druck seitens der Russischen Föderation, die intensiv die Westorientierung Georgiens zu verhindern und dem Land den Beitritt in die Eurasische Union aufzuzwingen versucht. Dabei hält Moskau 20% des georgischen Territoriums völkerrechtswidrig okkupiert und unterhält Militärbasen auf georgischem Territorium

2) Instrumentalisierung der Georgien-Frage durch die Behauptung eines angeblich hohen Ausmaßes georgischer, organisierter Kriminalität zum Gewinn der Wählerschaft, die aufgrund der Flüchtlingskrise verunsichert ist, aus Angst vor einem Verlust der Stimmen an die erstarkende AfD. Um zu zeigen, inwieweit die Angst der genannten Politiker, sowie die der anderen Regierungspartei SPD (Peer Steinbrück) der Wahrheit entspricht und um einen realistischen Blick auf das Problem zu werfen, möchten wir gerne statt Worte Zahlen sprechen lassen:

10 Fakten in Zahlen (Quelle: Bundeskriminalamt)

  • Georgischer Anteil an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen (2015): Im vorigen Jahr, also 2015 lag die gemeldete Gesamtzahl der Tatverdächtigen bei 2.369.036. Davon waren 8.085 georgischer Herkunft, also 0,3% aller Tatverdächtigen. Die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen betrug im selben Jahr 911.864. Also lag der georgische Anteil dabei bei 0,9%.
  • Georgien befand sich im Jahr 2015 unter „Nichtdeutschen Tatverdächtigen nach Staatsangehörigkeit bei Straftaten insgesamt“ auf dem 24. Platz, also weit hinter mehreren Mitgliedstaaten der EU und sein Anteil ging im Gegensatz zum Vorjahr leicht zurück, von 1,1% auf 0,9 %.

Anteil von georgischen Tatverdächtigen bei „Nichtdeutsche Tatverdächtige nach Staatsangehörigkeit bei Straftaten insgesamt ohne ausländerrechtliche Verstöße“ lag im Jahr 2015 bei 1,3% von insgesamt 555 820 nichtdeutschen Tatverdächtigen

  • Wohnungseinbruch/Diebstahl (2015): Im Jahr 2015 wurden insgesamt 167.136 Taten registriert, bei denen insgesamt 17.670 Personen gefasst wurden; Davon Deutsche – 10.574 (59,8%), Nichtdeutsche 7.096 (40,2%)
  • Die Zahl der tatverdächtigen Georgier lag bei 455, sie betrug also 6,4% von Tatverdächtigen mit ausländischer Staatsangehörigkeit und nur 2,6 % von allen Tatverdächtigen.
  • Missbrauch des Asylrechts (2015): Die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer bei Straftaten ohne ausländerrechtlichen Verstoß lag im Jahr 2015 bei 114.238. Davon waren 4.575 Tatverdächtiger georgischer Herkunft, also 4,0% aller Zuwanderer.
  • Beim Diebstahl betrug die Zahl der tatverdächtigen Zuwanderer 50.088. Anteil der georgischen Zuwanderer lag dabei bei 3.838, also 7,6% aller Zuwanderer
  • Am häufigsten festgestellte Nationalitäten an den westlichen Grenzen Deutschlands (2014): Unerlaubte Einreisen - Georgien befindet sich nicht unter den ersten 10 Staaten in der Statistik des BKA.
  • Geschleuste (einschließlich Versuche, 2014): 20 von insgesamt 953 (2014), also Anteil von Georgiern: 2,1%
  • Am häufigsten festgestellte Nationalitäten an den östlichen Grenzen Deutschlands (2014): Unerlaubte Einreisen – Zahl der Reisende mit georgischer Herkunft 160, Gesamtzahl 6.010. Prozentanteil von Georgiern: 2,6%
  • Geschleuste (einschließlich Versuche, 2014): Zahl der Georgier: 30, Zahl von allen geschleusten: 1.205, Prozentanteil von Georgiern: 2,49%

Kein Grund zur Angst

Es macht uns selbstverständlich sehr traurig, dass andere Georgier in kriminelle Machenschaften verwickelt sind, während wir in Deutschland leben, studieren, arbeiten und Steuern zahlen und durch die Kriminalität unser Ruf, sowie der Ruf Georgiens beschädigt wird. Wir möchten keine einzige Straftat verharmlosen, die von georgischen Kriminellen begangen wurden. Andererseits kann man aus der Statistik des BKA gut erkennen, dass es nicht um erschreckende Zahlen geht, die berechtigten Anlass zur Sorge geben würden, sondern dass aus einer Mücke ein Elefant für einen gewissen Kontext gemacht wird. Uns ist dennoch bewusst, dass obwohl die Zahl der georgischen Kriminellen nicht überdimensional hoch ist, es sich oft um Intensivtäter und um die Vertreter organisierter Kriminalnetzwerke handelt. Dabei ist es allerdings darauf hinzuweisen, dass kriminelle Netzwerke in Georgien weitgehend zerstört sind und dass daher in vielen Fällen Kriminelle einen Antrag auf Asyl stellen, die sich vorher in anderen Staaten (z.B. Spanien, Italien, Russland) aufgehalten haben.

Georgien ist eine junge Demokratie, die den Demokratisierungsweg sehr erfolgreich geht und ein Hoffnungsträger für andere postsowjetische Gesellschaften ist, die noch immer unter diktatorischen oder autoritären Regimen leben. In Georgien gibt es eine sehr aktive Zivilgesellschaft, Presse- und Meinungsfreiheit sowie freie Wahlen. Natürlich soll es noch weitere Verbesserungen geben, gerade weil Georgien sich Verbesserungen wünscht, strebt es die Annäherung an die EU an. Das Land erfüllte alle notwendigen Kriterien zur Visaliberalisierung. Jetzt ihm den Rücken zu kehren, wäre ein Verrat an den europäischen Werten. Abgesehen von der Enttäuschung der georgischen Studierenden, Schüler, Musik- und Kulturfreunde oder einfach Freunde von Deutschland, welches in Georgien aufgrund der historisch geprägten Beziehungen ein hohes Ansehen genießt.

Die Kriminalität hat doch nichts mit den Menschen in Georgien zu tun, die sich über den wissenschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Austausch mit der EU freuen. Kriminalität aus dem postsowjetischen Raum in Form von russischer Mafia umfasst eine große geographische Fläche. Sie wurde in Georgien hart bekämpft. In diesem Zusammenhang vom ethnischen Charakter der Kriminalität zu sprechen, ist grundsätzlich falsch, weil sie nicht für das gesamte Land sprechen kann. Im April 2016 wurde die Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Georgien bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität auf der Ebene der Innenministerien intensiver ausgebaut und Georgien vom deutschen Innenminister als vorbildlicher Partner bezeichnet. Und obwohl die CSU aktuell Visaliberalisierung mit Georgien scharf kritisiert, in der Kriminalstatistik von Bayern für das Jahr 2015 sind die Straftaten, die von Georgiern begangen wurden, auf Rang 23. In der Druckfassung wird sie nicht mal erwähnt.

Kriminalität kann nicht durch Isolierung bekämpft werden. Kriminalität kann nur durch wirtschaftliches Wachstum, bessere Chancen auf Bildung, Chancengleichheit und intensiver Austausch besiegt werden. Dies wäre durch die Visaliberalisierung geboten und darauf zu verzichten, würde vielmehr das Gegenteil bewirken. Wir sind überzeugt, dass eine Visa-Liberalisierung nicht automatisch zum Anstieg von georgischen Asylbewerbern führen würde, weil deren Chancen auf Asyl gleich null sein würden. Wie bereits erwähnt, handelt es sich bei den Asylbewerbern verstärkt um Vertreter krimineller Netzwerke innerhalb der EU und Russland und es gibt bislang keine Beweise dafür, dass sie „massenweise“ (wie es dargestellt wird) in Georgien angeworben werden. Vielmehr würden durch die Visaliberalisierung viele Exilgeorgier/innen einen Neustart in Georgien wagen, die jetzt lieber in Deutschland bleiben aufgrund der Sorge, nicht mehr nach Deutschland einreisen zu dürfen. Georgien blickt nach Europa und das Land darf nicht das Opfer spekulativer populistischer Äußerungen werden. Wir verurteilen die anti-georgische Kampagne äußerst scharf und möchten noch einmal betonen, dass Georgien kein kriminelles Land ist, wie es gerade in der deutschen Presse dargestellt wird.

Mikheil Sarjveladze